Neue Erkenntnisse über den galaktischen Halo

Klaas S. de Boer, Argelander-Institut der Universität Bonn

Für den Erdbeobachter, der mit bloßem Auge zum Himmel schaut, scheint unser Sternsystem hauptsächlich aus dem Band der Milchstraße zu bestehen. Doch auch andere, auf den ersten Blick weniger auffällige Bestandteile der Galaxis, sind außerordentlich spannende Forschungsobjekte. Im Halo, der die galaktische Scheibe sphärisch umhüllt, finden sich neben den schon seit langer Zeit bekannten Kugelsternhaufen verschiedene Gaswolken und viele Einzelsterne. Schon seit langer Zeit diskutiert man darüber, woher all die Materie das Halos stammt. Auf der internationalen Tagung "The Halo of the Milky Way", die vom 28.5.-2.6.2007 in Bonn stattfand, wurden die neusten Erkenntnisse zum Halo vorgestellt. Zu drei der Bereiche ein kleiner Bericht.

Viele schwache Sterne im Halo - Spuren einer Zwerggalaxie

Große Fortschritte beim Verständnis des Halo resultieren aus einem automatisierten Suchprogramm. Mit dem "Sloan Digital Sky Survey" (SDSS) werden Regionen außerhalb der Milchstraßenebene systematisch nach Objekten durchsucht. Das SDSS-Teleskop macht mit mehreren CCDs fortlaufend Himmelsaufnahmen. Das Fernrohr wird nicht oder nur langsam nachgeführt, sodass das Abbild des Himmels über die Fokalebene hinwegläuft. Die CCDs werden im gleichen Schiebetakt ausgelesen, sodass ein kontinuierlicher Datenstrom entsteht. Als Ergebnis erhält man lange Streifenbilder, die dann photometrisch bearbeitet werden. Da die Messungen in mehreren Farbbereichen erfolgen, entstehen riesige Datenmengen, aus denen man für beliebige Beobachtungsfelder Farben-Helligkeitsdiagramme erstellen kann.

Normalerweise lassen sich Sternentfernungen nicht rein photometrisch bestimmen. Da aber die Sterne im Halo durchweg alt sind und Hauptreihensterne, sofern es sie im Halo gibt, zum Blauen hin einen gewissen maximalen Farbindex besitzen, kann man bei Sternen dieser Farbe aus der Helligkeit auf die Entfernung schließen. So entstand die Abb.1, in der die gewählten Hauptreihensterne des Halos je nach Entfernung farbkodiert wurden. Man erkennt sofort streifenförmige Strukturen. Offenbar gibt es im Halo regelrechte "Ströme" aus Sternen.

In der galaktischen Scheibe sind Sternströme schon seit langer Zeit bekannt, nun hat man sie auch im Halo aufgespürt. Mit den SDSS-Messungen konnte dokumentiert werden, dass die gefundenen Ströme mit dem Einfang der Sagittarius Zwerggalaxie zusammenhängen (Abb.1). Diese Zwerggalaxie umkreist unserer Galaxis in weiträumigen polaren Bahnen. Dabei bewirkt die Schwerkraft der Galaxis, dass ständig die äußeren Sterne (aber auch das Gas) der Zwerggalaxie herausgelöst werden. Diese Sterne bilden dann zwei langgezogene Schweife entlang der Bahn vor und hinter der Zwerggalaxie. Da die Sagittarius Galaxie unser Sternsystem schon einige Male umlaufen hat, gibt es mehrere solcher Sternbögen.

Abb.1: Vom "Sloan Digital Sky Survey" Projekt wurden viele Resultate der Durchmusterung veröffentlicht und auf der Bonner Tagung diskutiert. Abgebildet ist der Nordhimmel. Die "Streifigkeit" des Himmels rührt aus der ungleichen Verteilung der vielen schwachen Sterne her. Die Farbkodierung deutet die Entfernung der Objekte an: blau ist nah, grün bis gelb mittelweit entfernt und rot ist sehr weit entfernt. Bild vom SDSS Projekt (siehe http://www.sdss.org)

Altersbestimmungen von Sternen aus radioaktivem Zerfall

Die Sterne im Halo sind alt. Wie alt diese Sterne allerdings genau sind, ist zumeist schwer festzustellen. Lediglich für die Sterne der Kugelsternhaufen kann man das Farben-Helligkeits-Diagramm zu Rate ziehen und aus dem sogenannten Abknickpunkt der Hauptreihe eine Altersbestimmung vornehmen: Da die Lebenserwartung der Sterne bekanntlich von ihrer Anfangsmasse festgelegt wird, kann man aus dem Vorhandensein von Hauptreihensternen einer gewissen Höchstmasse auf das Alter der gesamten Sterngruppe schließen. Die Methode versagt natürlich, wenn man es mit Sternen zu tun hat, die nicht im Verband eines Sternhaufens vorgefunden werden. Hier setzten nun neue Methoden der Alterbestimmung an.

Supernovae schleudern explosionsartig große Mengen an Materie ins All - auch die im Vorläuferstern gebildeten schweren Elemente. Diese Elemente stehen dann für die Bildung neuer Sterngenerationen zur Verfügung oder besser gesagt, sie mischen sich dem interstellaren Gas bei und werden, wenn sich aus diesem Gas neue Sterne bilden, von diesen aufgenommen. Das geschah natürlich auch in der frühen Phase des Universums. Allerdings enthielten die Geburtswolken der Sterne damals nur geringen Mengen schwerer Elemente, sodass die aus ihnen hervorgegangenen Objekte durchweg arm an schweren Elementen sind. Sie besitzen deshalb nur schwache Absorptionslinien solcher Elemente in ihren Spektren. Für Spektralbeobachtungen ist dies einerseits ein Nachteil, denn die Vermessung mancher Linie wird so erschwert. Andererseits sind die schwachen Absorptionslinien aber auch von Vorteil - Linien, die normalerweise das Sternlicht deutlich schwächen, tun dies in metallarmen Sternen nur wenig, sodass auch schwache Absorptionslinien als individuelle Strukturen sichtbar werden. Dies wird bei der Altersbestimmung ausgenutzt.

Die bei einer Supernova gebildeten chemischen Elemente sind teilweise radioaktiv. Im Laufe der Zeit zerfallen sie und zwar nach einer für jedes Element charakteristischen Zerfallskurve. Wenn nun zwei Elemente mit unterschiedlichen Zerfallszeiten im Linienspektrum eines Sterns nachweisbar sind, so kann man aus der relativen Häufigkeit dieser Elemente den Zeitpunkt ermitteln, an dem sie entstanden sind. Dies erfordert allerdings ein Modell für die Elemententstehung bei einer Supernovaexplosion in der Frühphase des Universums. Insbesondere die Kombination vom Uran mit Thorium ermöglicht eine Altersbestimmung der Sterne im Halo (Abb. 2). Diese Methode wird Nukleochronometrie genannt.

Abb.2. Aus Messungen an einem metallarmen Stern hat eine internationale Forschergruppe das Alter des kühlen Sterns HE 1523-0901 abgeleitet. Dieser Stern wurde von Hamburger Astronomen (H) in deren spektroskopischen Durchmusterung des Südhimmels (E von ESO) entdeckt. Er soll 13.2 Milliarden Jahre alt sein, abgeleitet aus den Spektrallinien von Uran und Thorium. Die Spektren wurden mit dem VLT gewonnen. Das ermittelte Alter ist fast so groß wie das des Universums (die gängige Kosmologie setzt das Alter des Universums auf 13.7 Milliarden Jahre). Allerdings ist die Genauigkeit der Altersbestimmung nicht so hoch, dass man einen Konflikt mit dem anderweitig bestimmten Alter des Universums vermuten könnte. Bild von ESO, Pressemitteilung Nr. 23, 2007 (über http://www.eso.org)

Herkunft des Gases im Halo

Als vor 50 Jahren entdeckt wurde, dass es außerhalb der galaktischen Scheibe kühles Gas gibt und das sich dieses Gas mit einer gewissen Geschwindigkeit zur Scheibenebene hin bewegt, wurde schon bald von "einfallenden Hochgeschwindigkeitswolken" gesprochen. Deren Nachweis erfolgte über Absorptionslinien, die das Halogas dem Licht von Hintergrundsternen aufprägte, sowie aus den bis dahin noch nicht sehr genauen Messungen im Radiofrequenzbereich.

Inzwischen ist sehr viel über das Halogas bekannt. Das Gas wurde auch in größeren Himmelsarealen anhand verschiedener Absorptionslinien (wie Ca II) und der 21-cm Strahlung nachgewiesen. Mit Satelliten, die im Ultravioletten (IUE, HST, ORFEUS, FUSE) und im Röntgenbereich (ROSAT, XMM) messen können, wurden inzwischen auch größeren Mengen heißen Halogases festgestellt. Nur die Entfernung des Gases ist schwer zu ermitteln. Da Gaswolken keine Standardgröße haben (Sterne haben eine), kann aus Winkelmessungen an der Himmelssphäre nicht auf eine Entfernung geschlossen werden. Nur anhand von typischen Absorptionslinien des Halogases, die eventuell dem Spektrum eines Sterns überlagert sind, kann man (sofern die Entfernung des Sterns bekannt ist) den Abstand zum Gases einschränken. Auf der Bonner Tagung wurden hierzu aktuelle Resultate in einem Überblick präsentiert.

Vor 50 Jahren vermutete man, dass das Gas aus dem intergalaktischem Raum in die Galaxis einfällt. Die tatsächlich detektierte Gasmenge ist für diese Hypothese aber zu groß. Als dann vor 33 Jahren heißes Gas in der Scheibe der Galaxis entdeckt wurde, kamen Spekulationen auf, die sich im Modellbild einer "galaktische Fontäne" beschreiben lassen: Supernovae in der Scheibe erzeugen heißes Gas, dass unter Überdruck aus der Scheibe heraus und in den Halo hinein strömt, dort abkühlt, sich dabei verdichtet und schließlich in Form kalter Wolken zurückfällt. Dieser Mechanismus wird noch heute als wichtige Ursache für das Halogas angesehen. Auch die von der Galaxis eingefangenen Zwerggalaxien tragen zum Einfall von Gaswolken bei. Die beiden Magellanschen Zwerggalaxien, die einen regelrechten Gasschweif hinter sich herziehen, sind dafür die besten Beispiele.

Abb.3. Im Halo der Galaxis findet man neben Kugelsternhaufen und Gaswolken auch viele alte Sterne. Die roten Riesen unter ihnen verlieren Materie, die sich in Gaswolken sammelt und in Hochgeschwindigkeitswolken auf die Milchstraßenebene zufällt. Bild K.S. de Boer

In Bonn wurde auch über eine neue Quelle des Halogases berichtet. Im Halo gibt es viele alte Sterne - wie etwa die in Kugelsternhaufen - unter denen sich rote Riesen befinden. Und rote Riesen verlieren viel Gas. Die Möglichkeit, aus neuen Daten die räumliche Verteilung der Sterne im Halo nachzuweisen, erlaubt es erstmals zu berechnen, wie viel Gas von den Halo-Riesensternen freigesetzt wird. Anscheinend ist diese Menge im Einklang mit der beobachteten Menge des auf die galaktische Scheibe einfallenden Halo-Gases (Abb.3). Allerdings ist das von den roten Riesen freigesetzte Gas arm an schweren Elementen. Die "galaktische Fontäne" bringt mit schweren Elementen angereichertes Gas in den Halo. Die chemische Zusammensetzung der zurückfallenden Materie deutet somit auf beide Ursprünge als Quellen für die Hochgeschwindigkeitswolken hin.


Die Berichte zur Tagung sind als Proceedings of the conference "The Halo of the Milky Way" zugänglich.

Ins Web gestellt 2007.07.12
http://www.astro.uni-bonn.de/~deboer/astraum/mwh.html