Geschichte der Astronomie : Acta Historica Astronomiae : Vol. 11


Vorwort

[Foreword. - In German]


Am 26. August 1999 beging der Große Refraktor des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam sein 100jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlaß hatte das Astrophysikalische Institut Potsdam, in dem das Astrophysikalische Observatorium 1992 aufgegangen war, gemeinsam mit dem Förderverein Großer Refraktor Potsdam e.V. am darauffolgenden Tage zu einer ganztägigen Festveranstaltung eingeladen, die unter der Schirmherrschaft des Ministers für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Steffen Reiche, stand. Als Veranstaltungsort war der Große Hörsaal der wissenschaftlichen Einrichtungen auf dem Telegrafenberg mit seiner modernen technischen Ausrüstung gewählt worden. Der Kuppelsaal des Großen Refraktors selbst, der vor 100 Jahren Schauplatz der glanzvollen Einweihungszeremonie in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. gewesen war, vereinte die Teilnehmer zu einem mittäglichen Empfang. Hier hatten sie Gelegenheit, den zwar nicht funktionsfähigen, aber soeben entrosteten und im Originalfarbton angestrichenen Jubilar zu besichtigen. Ironischerweise meldete sich am selben Tag die Vergangenheit bedrohlich zurück, in der bei dem verheerenden Luftangriff auf Potsdam am 14. April 1945 der Große Refraktor schwer beschädigt worden war: Wegen der Entschärfung eines nahebei aufgefundenen Blindgängers, der von diesem Angriff stammte, mußte die Nachmittagssitzung stark verkürzt werden!

Auf der Jubiläumsfeier wurde auch des 125. Gründungstages des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam gedacht, das am 1. Juli 1874 als weltweit erstes astronomisches Institut mit dem Ziel gegründet worden war, sich ausschließlich dem jungen Forschungszweig Astrophysik zu widmen. In dessen Geschichte ist der Große Refraktor ein Meilenstein. Er wurde 25 Jahre nach Gründung des Observatoriums als neues Hauptinstrument beschafft, um die vor allem auf dem Gebiet der photographischen Bestimmung von Radialgeschwindigkeiten der Sterne mit bescheidenem Instrumentarium erreichte Vorrangstellung des Instituts zu behaupten.

Der vorliegende Band vereint in sich die auf der Festveranstaltung gehaltenen Vorträge, angeführt von den Grußansprachen des Schirmherrn und der Veranstalter. Die beiden folgenden Hauptvorträge sind zwei völlig unterschiedlichen Themen gewidmet, die aber in enger Beziehung zum Großen Refraktor stehen. Dieser gehört in die Familie der ersten Großteleskope, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und durch ihre bis dahin nicht erreichte Lichtsammelleistung den Weg öffneten, in die Tiefen des Weltalls vorzustoßen. Zugleich markiert er aber auch - unabhängig von seinen zu Tage getretenen individuellen Schwächen - die Grenze, an die die Technologie der Linsenteleskope gestoßen war. Wie auch die anderen großen Refraktoren mußte er in der Folge das Feld den neu entwickelten Spiegelteleskopen überlassen, die den stürmischen Aufschwung der beobachtenden Astrophysik erst ermöglichten.

Der Kuppelbau des Großen Refraktors mit dem gleichzeitig errichteten Beamtenwohnhaus und Kleinen Maschinenhaus waren die vorerst letzten Bauten auf dem Potsdamer Telegrafenberg, die als herausragendes Beispiel der für Preußen typischen Institutsarchitektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts gelten und ebenso wie das Teleskop selbst unter Denkmalschutz stehen. Ihre gelb-rote und mit Friesen aus farbigen gebrannten Kacheln geschmückte Backsteinarchitektur, die auf Schinkelsche Bautradition zurückgeht, wurde von Paul Spieker geschaffen, und auch in Berlin haben einige seiner Bauten den Krieg überdauert. Mit dem Einsteinturm von Erich Mendelsohn und den behutsam angepaßten modernen Bauten nach 1990 ist der Kuppelbau des Refraktors Mittelpunkt eines in eine Parklandschaft eingebetteten bedeutenden Architekturensembles.

Die drei Vorträge der Nachmittagssitzung wenden sich in stärkerem Maße der Geschichte und den wissenschaftlichen Leistungen des Großen Refraktors und des Astrophysikalischen Observatoriums zu. Die Sonnenphysik, die von Anfang an einen bedeutenden Platz im Forschungsprofil des Observatoriums einnahm, ist dabei mit einem eigenständigen Bericht vertreten.

Die beiden hier im Anhang gegebenen Beiträge waren nicht Bestandteil des Vortragsprogramms. Wegen ihres unmittelbaren Bezugs zur Thematik der Veranstaltung haben wir uns jedoch entschlossen, sie in diesen Band aufzunehmen. Für die Gründungsgeschichte des Astrophysikalischen Observatoriums ist der Bericht von Hermann Carl Vogel über seine Studienreise, die er in den Monaten Juni und Juli 1875 nach Großbritannien im Hinblick auf das neu zu errichtende Observatorium unternommen hatte, eine wichtige Quelle. Unseres Wissens wird dieses Zeitdokument hier zum ersten Mal veröffentlicht. Ein kurzer Aufsatz befaßt sich mit der Schreibweise des geographischen Ortes, an dem das Astrophysikalische Observatorium und der Große Refraktor errichtet wurden. Obwohl dort erläutert wird, daß die amtliche Schreibweise diejenige mit ph ist, haben wir uns mehrheitlich für die Fassung »Telegrafenberg« entschieden, die auch im Titel des Buches vorkommt, da sie seit mehreren Jahrzehnten von den ansässigen Instituten gebraucht wird.

Dieser Band ist ein weiterer Beitrag zur Erforschung und Darstellung der Geschichte des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam, von der es leider noch keine ausführliche Gesamtdarstellung gibt, und der regionalen Geschichte der Astronomie insgesamt. Er ergänzt die kürzlich erschienene Sammlung von Aufsätzen über 300 Jahre Astronomie in Berlin und Potsdam(1).

In den Texten sind in der Regel keine Lebensdaten der genannten Personen gegeben. Diese Daten sowie Vornamen können dem Personenverzeichnis am Ende des Bandes entnommen werden. Da ein wissenschaftliches Instrument im Fokus dieses Buches steht und zahlreiche weitere erwähnt werden, spielen Instrumentenhersteller und Firmen hier eine besondere Rolle. Aus diesem Grunde wurde ein Verzeichnis von Herstellern beigefügt.

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Potsdam, im Oktober 2000

Ernst-August Gußmann,
Gerhard Scholz,
Wolfgang R. Dick


(1) Wolfgang R. Dick, Klaus Fritze (Hrsg.): 300 Jahre Astronomie in Berlin und Potsdam. Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlaß des Gründungsjubiläums der Berliner Sternwarte. Thun und Frankfurt am Main: Verlag Harri Deutsch 2000, 252 S. Der Band enthält auch eine umfangreiche Bibliographie, die u.a. Publikationen zur Geschichte des AOP und des Großen Refraktors aufführt.


Bibliographische Angaben / Bibliographical details:

Ernst-August Gußmann, Gerhard Scholz, Wolfgang R. Dick: Vorwort. In: Ernst-August Gußmann, Gerhard Scholz, Wolfgang R. Dick (Hrsg.): Der Große Refraktor auf dem Potsdamer Telegrafenberg. Vorträge zu seinem 100jährigen Bestehen. (Acta Historica Astronomiae ; 11). Thun ; Frankfurt am Main : Deutsch, 2000, S. 6-8.


Html-Version: Wolfgang R. Dick. Eingerichtet: 7. Jan. 2001