Geschichte der Astronomie : Personen : Personen (S) : Scheiner, Julius


J[ohannes] Wilsing: Julius Scheiner [Nachruf].
In: Vierteljahrsschrift der Astronomischen Gesellschaft 49 (1914), S. 22-36

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Julius Scheiner.

     Julius Scheiner wurde am 25. November 1858 zu Köln als Sohn des Landschafts- und Architekturmalers Jakob Scheiner geboren. Er besuchte in Deutz die Elementarschule und das Progymnasium und ging dann auf die Realschule in Köln über. Dort erteilte den Unterricht in der Physik der durch sein Handbuch „Der elektromagnetische Telegraph" bekannte Direktor Professor Schellen, der es in ausgezeichneter Weise verstand, das Interesse seiner Schüler nicht nur durch seinen fesselnden Vortrag, sondern auch durch zahlreiche Experimente in seinem wohlausgestatteten Laboratorium zu beleben. Scheiner gehörte von Anfang an zu den besten Schülern in allen Fächern; doch entwickelte sich unter dieser vorzüglichen Anleitung in besonderem Maße sein Talent zur Betätigung auf experimentellem Gebiet. [23] Bezeichnend dafür ist das folgende Begebnis. Die Nachricht von der Erfindung des Telephons war durch die Zeitungen verbreitet worden, und Professor Schellen bedauerte, seinen Schülern das neue Wunderwerk nicht vorführen zu können. Da teilte Scheiner seinem erstaunten Lehrer mit, daß er bereits einen Apparat angefertigt habe, der sich in der Tat bei der Prüfung als durchaus gebrauchsfähig erwies und als erstes Telephon in Köln allgemein bestaunt wurde. Auch eine kleine Dampfmaschine wurde unter Beihilfe des älteren Bruders, der als Chemiker und Hüttenmann gleichfalls auf die Neigung Scheiners zu den Naturwissenschaften fördernd wirkte, betriebsfähig hergestellt. Der Unterricht in der Mathematik und Chemie wurde von Dr. Schorn erteilt, der Scheiner gleichfalls zu seinem Assistenten bei den Experimenten und den praktischen Übungen der Schüler machte. Von seinem Vater hatte Scheiner das Talent zum Zeichnen und Malen geerbt und betätigte seine Fertigkeit, da die Familie nicht mit Glücksgütern gesegnet war und der Vater häufig kränkelte, praktisch mit bestem Erfolge durch Ausführung zeichnerischer Arbeiten für ein technisches Bureau. Trotz dieser Nebenbeschäftigungen und der Störungen, welche die Arbeit durch seinen schwankenden Gesundheitszustand erlitt, blieb Scheiner einer der besten Schüler und bestand Ostern 1878 das Abiturientenexamen.
     Auf den Rat der Eltern, die den Sohn bald in gesicherter Stellung zu sehen wünschten, studierte Scheiner in Bonn zunächst Mathematik und Naturwissenschaften; aber bald wurde die Neigung zum Studium der Astronomie, welche schon auf der Schule durch einen Besuch der Bonner Sternwarte geweckt worden war, so lebhaft, daß Scheiner, nachdem die Eltern auf Verwendung Schönfelds ihren Widerstand aufgegeben hatten, sich ganz seiner Lieblingswissenschaft zu widmen beschloß. Bald gehörte Scheiner zu Schönfelds tüchtigsten Schülern und zeigte sich in der Behandlung der Instrumente so geschickt, daß er schon im 5. Semester an den Beobachtungen auf der Sternwarte teilnehmen durfte; durch Übernahme von Rechnungen verstand er es, sein ziemlich schmales Einkommen zu verbessern. Doch behielt der fleißige Student genug Zeit, um sich auch als eifriges Mitglied des mathematischen Vereins zu betätigen. Nicht nur bei den wissenschaftlichen Vorträgen, sondern auch bei den studentischen Vergnügungen, bei den Ausflügen nach Godesberg und bei den Kommersen war er stets zur Stelle, ohne indessen aus einer gewissen Zurückhaltung herauszugehen.
     Im März 1882 promovierte Scheiner mit einer Arbeit „Untersuchungen über den Lichtwechsel Algols nach den Mann-[24]heimer Beobachtungen von Professor Schönfeld in den Jahren 1869 bis 1875"; unter seinen Opponenten befand sich Dr. Pulfrich, zur Zeit in Jena. Bereits im Herbst 1881 nach der Übersiedlung von Kreutz an das Recheninstitut in Berlin hatte Scheiner die Assistentenstelle an der Sternwarte erhalten und beteiligte sich mit dem Observator Dr. Deichmüller an den Zonen-Beobachtungen. Diese Tätigkeit wurde unterbrochen durch die Ableistung des einjährigen Dienstjahrs. Scheiner, der von Jugend auf mit nervösen Herzbeschwerden zu kämpfen gehabt hatte, hatte erwartet von der militärischen Dienstpflicht entbunden zu werden; indessen zeigte sich bald, daß die körperlichen Anstrengungen und die Bewegung in frischer Luft den günstigsten Einfluß auf seinen Gesundheitszustand ausübten. Nach Beendigung des Dienstjahrs nahm er mit neuem Eifer seine Tätigkeit auf der Sternwarte wieder auf und verstand es, sich durch seine Leistungen und durch sein liebenswürdiges Wesen so beliebt zu machen, daß er von Schönfeld wie ein Kind des Hauses behandelt wurde und auch zu den geselligen Zusammenkünften der Bonner Professoren hinzugezogen wurde. Zu seinem Freundeskreise gehörten in Bonn der Observator Professor Dr. Deichmüller, Professor Dr. Glaser, der Afrikaforscher Dr. Kayser, Professor Dr. Kühnen, Professor Dr. Kreutz, Professor Dr. Luther, jetzt Direktor der Sternwarte Bilk, Dr. Pulfrich u. a.
     Aus der Bonner Zeit stammt außer einer Notiz „Über den November-Sternschnuppenfall 1885" eine größere Arbeit Scheiners „Vergleichung der Größenangaben der südlichen Durchmusterung mit denen anderer Kataloge" (Astr. Nachr. Bd. 116), zu welcher ihm von Schönfeld das Manuskript des Hauptkatalogs zur Verfügung gestellt wurde. Scheiner verglich 34599 Sterne, die in Bessels Zonen, in Argelanders südlichen Zonen, bei Lalande, Schjellerup und in der Uranometria Argentina vorkommen, und fand eine merkliche Abhängigkeit der Helligkeitsdifferenzen von der Sterndichtigkeit. Zwölf Jahre später ist Scheiner in einem Aufsatz „Über die Abhängigkeit der Größenangaben der Bonner Durchmusterung von der Sternfülle" (Astr. Nachr. Bd. 147) auf den Gegenstand zurückgekommen. Aus dem Ergebnis der Vergleichung zwischen dem Potsdamer Katalog der Photographischen Himmelskarte und der Bonner Durchmusterung, daß das Dichtigkeitsverhältnis nahe proportional der Sterndichtigkeit wächst, schloß Scheiner, wie in seiner früheren Untersuchung, auf eine starke Ungleichartigkeit der Bonner Schätzungen und suchte diese Ansicht auch durch experimentelle Untersuchungen über die Wirkung des [25] Purkinje Phänomens auf die Sichtbarkeitsgrenze verschieden gefärbter Sterne zu stützen.
     Zwar war Scheiners Gehalt, das anfangs 1200 M. betrug, nachdem er seine Tätigkeit an der Sternwarte wieder aufgenommen hatte, auf 1500 M. erhöht worden; auch hatte er eine Dienstwohnung, welche aus einem kleinen Wohnzimmer und einem daneben liegenden, vom Beobachtungsraum durch Holzwände abgeteilten, unheizbaren Verschlage bestand, der als Schlafraum diente. Allein verwunderlich war es doch nicht, zumal sich Scheiner bereits in jungen Semestern verlobt hatte, daß er an eine weitere Verbesserung seiner materiellen Lage dachte. So wandte er sich, einer Aufforderung der damals in Köln lebenden und mit seinen Eltern befreundeten Schriftstellerin Elise Polko folgend, an den Bruder derselben, den Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums bei Potsdam, H. C. Vogel. Zunächst zerschlugen sich allerdings die Verhandlungen, da ihm Vogel nur 1000 M. bieten konnte, und erst 2 Jahre später, als Scheiner 1200 M. nebst freier Wohnung zugesichert werden konnten, nahm er trotz der zunächst recht fühlbaren Verschlechterung seines Einkommens und trotz der Abmahnungen seiner Freunde, die für ihn als Rheinländer von der als „langweilig" verrufenen Stadt nichts Gutes erwarteten, entschlossen an und siedelte am 1. Januar 1887 nach Potsdam über, zum Bedauern Schönfelds, der ihm seine Stelle in Bonn noch bis Ostern 1887 frei hielt für den Fall, daß es Scheiner in Potsdam nicht gefallen sollte. Aber die Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Begeistert schildert Scheiner in seinen Briefen an die zurückgebliebenen Freunde den Eindruck, den der damalige „große" Refraktor des Observatoriums, ein Schrödersches Instrument von 12 Zoll Öffnung, auf ihn machte. Mit Stolz berichtet er, daß ihm bald nach Antritt seiner Stellung der ihm außerordentlich hoch erscheinende Betrag von 50 M. zur freien Verfügung gestellt worden sei behufs Ausführung einer ihm von Vogel übertragenen Arbeit. Es handelte sich um „Untersuchungen über Isolationsmittel gegen strahlende Wärme" (Zeitschrift für Instrumentenkunde 1887), welche durch die Beobachtung störender Einflüsse der Wärmestrahlung bei Pendelbeobachtungen des Verf. angeregt worden waren. Scheiner machte sich sogleich mit Eifer an diese Arbeit; er verfertigte sich eine geeignete Thermosäule, die in einen Blechkasten eingeschlossen wurde, und beobachtete den Gang der Temperatur im Kasten, wenn die durch Platten verschiedener Art verschlossene Vorderseite der Strahlung einer Locatellischen Lampe ausgesetzt wurde. Es zeigte sich, daß durch Kombination von [26] guten und schlechten Leitern die beste Schirmwirkung zu erzielen war.
     Nebenher stellte Scheiner mehrere farbige „Spektraltafeln nach den Beobachtungen und Zeichnungen von Professor H. C. Vogel" her, welche die Vogelschen Spektraltypen, Nebel-, Planeten-, Kometenspektra usw. veranschaulichen. Bereits im August des Jahres 1887 aber finden wir ihn mit seinen Kollegen Müller und Kempf in Schipulino, einem kleinen Landgut bei Klin nahe der Petersburg-Moskauer Eisenbahnlinie, zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis. Leider war die Expedition nicht vom Wetter begünstigt, teilte dieses Schicksal indessen mit allen übrigen Expeditionen, die eine Kette von 1200 km Länge bildeten. Auf Scheiner machte diese erste größere Reise seines Lebens den nachhaltigsten Eindruck.
     Schon vorher hatte Vogel Scheiner zum Mitarbeiter ausersehen bei der Ausführung einer Arbeit, die ihm lange am Herzen lag, nämlich bei der Bestimmung der Sternbewegungen im Visionsradius auf spektrographischem Wege. Zwar lagen bereits direkte Beobachtungen von Linienverschiebungen im Spektrum von Huggins, Vogel, Maunder vor, allein die Genauigkeit dieser Messungen ließ zu wünschen übrig. Vogel erkannte mit dem sicheren Blick des erfahrenen Praktikers, daß die Lösung dieser Aufgabe von dem neuen Hilfsmittel der Himmelskunde, der Photographie, zu erwarten sei, und Scheiner entwickelte, da sich Vogel bei seinem schwankenden Gesundheitszustande an den praktischen Arbeiten nur wenig beteiligen konnte, einen um so größeren Eifer bei der Prüfung der in gemeinsamer Beratung festgestellten Konstruktions- und Beobachtungsprinzipien. Bald war das große Werk gelungen. Die Radialgeschwindigkeiten zahlreicher hellerer Sterne wurden mit einer bis dahin nicht erreichten Genauigkeit festgelegt, und am 28. November 1889 konnten Vogel und Scheiner der Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine Bahnbestimmung des Algols vorlegen, die erste Bestimmung einer Doppelsternbahn, bei welcher die Dimensionen ohne Kenntnis der Parallaxe in Meilen angegeben waren.
     Während der gemeinsamen Arbeit an der Lösung dieses fundamentalen Problems nahmen die Beziehungen Vogels zu seinem kongenialen Gehilfen den Charakter herzlicher Freundschaft an und er überließ Scheiner zum Dank für seine Unterstützung die weitere Ausmessung und Bearbeitung der Sternspektrogramme. Die Ergebnisse der Ausmessung dieser Spektrogramme, welche mit einer sehr bedeutenden, bis dahin bei Sternen nicht angewandten Dispersion, hergestellt worden waren, [27] besaßen bezüglich der Wellenlängenbestimmung etwa die 10fache Genauigkeit der auf optischem Wege erreichbaren. Außerdem waren die Spektra eine Fundgrube interessanter Einzelheiten. Scheiner berichtet darüber in einer umfangreichen Abhandlung „Untersuchungen über die Spektra der helleren Sterne nach photographischen Aufnahmen" (Publikationen des Astrophys. Observatoriums Bd. 7, 1895) und in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Von besonderem Interesse sind Scheiners Bemerkungen über eine in den Spektren der Orionsterne vorkommende Linie, für welche er im Mittel die Wellenlänge lambda 447.175 µµ erhielt. Diese Linie, sowie noch zwei andere, wurden später im Spektrum des von Ramsay aus dem Cleveit hergestellten Heliums gefunden. Ferner stellte Scheiner Betrachtungen an über den Einfluß der Sternatmosphären auf das Aussehen der Wasserstofflinien in den Spektren der Sterne vom I. Typus und schließt aus dem Vorkommen einer Funken-, bzw. Bogenlinie des Magnesiums auf die Photosphärentemperatur der betreffenden Sterne. Diese Darlegungen haben Widerspruch gefunden, welcher sich in seinem physikalischen Teil auf die Undurchsichtigkeit der Beziehungen zwischen der Form der verwickelten elektrischen Entladungsvorgänge und der Temperatur stützte.
     Scheiners Zeit wurde aber nicht nur durch diese spektrographischen Arbeiten ausgefüllt, sondern einen beträchtlichen Teil derselben nahm seine Mitwirkung bei den Vorarbeiten für die Ausführung des großen internationalen Unternehmens, der photographischen Himmelskarte, in Anspruch. Auf dem Pariser Kongreß im Frühjahr 1887 hatte Vogel als Anteil des Potsdamer Observatoriums an diesen Vorarbeiten die Herstellung von Gittern übernommen, welche auf die Platten behufs Erhöhung der Messungsgenauigkeit kopiert werden sollten; ferner sollten Untersuchungen über die Veränderungen der empfindlichen Schicht durch die Entwicklung der Aufnahmen und über den Einfluß der Expositionszeit auf die Genauigkeit der Positionsbestimmungen angestellt werden.
     Zunächst ermittelte Scheiner aus der Vergleichung der Messungen von Aufnahmen, welche die Herren Henry von derselben Sternkonfiguration mit verschiedenen Expositionszeiten angefertigt hatten, daß die Expositionszeit ohne merklichen Einfluß auf die Genauigkeit der Positionen ist. Besonders bemühte er sich aber um die Lösung der ersten Aufgabe, welche „die Herstellung eines Netzes von durchsichtigen Linien in einer für chemisch wirksame Strahlen undurchsichtigen Schicht" verlangte. Nach mannigfachen Versuchen gelang es Scheiner mit [28] Verwendung eines besonders geformten Stahlstichels, gut begrenzte Linien in eine auf eine Glasplatte aufgetragene Silberschicht zu reißen, die der Forderung entsprechend auf den photographischen Kopien Striche von nur 0.01 mm Durchmesser lieferten. Auf diese Weise sind dann die benutzten Gitter von Wanschaff und Gautier hergestellt worden.
     An diese Arbeiten schlossen sich Untersuchungen über die Bestimmung der Sterngrößen. Aus der Bearbeitung von Plejadenaufnahmen, welche mit einem 10zölligen Spiegelteleskop von v. Gothard hergestellt worden waren, aus eigenen Aufnahmen mit einem 5zölligen chemisch achromatischen Objektiv von Steinheil und von Aufnahmen der künstlichen Sterne des Zöllnerschen Photometers ergab sich, daß innerhalb eines Intervalls von 5 Größenklassen die Durchmesser den Sterngrößen proportional zunehmen, während für größere Helligkeitsintervalle die logarithmische Charliersche Formel zu benutzen ist. Praktisch konnte die Durchmesserbestimmung durch Größenschätzungen im Mikroskop ersetzt werden, bei welchen nur die gegen die Ränder der Platte zunehmende elliptische Deformation der Bilder störend wirkte. Diese Frage der Abhängigkeit der Größenschätzungen vom Abstand des Bildes von der Plattenmitte hat Scheiner später noch unter Mitwirkung von Ludendorff genauer untersucht.
     Von besonderem Interesse in der Reihe der photographisch-photometrischen Arbeiten ist ein Aufsatz „Über die Bestimmung von Sterngrößen aus photographischen Aufnahmen" (Astr. Nachr. Bd. 124). Hier macht Scheiner auf die Beziehungen zwischen dem Spektrum und dem Unterschied der photographischen und optischen Helligkeiten eines Sterns aufmerksam. Aus der Vergleichung von Helligkeitsbestimmungen stark gefärbter Sterne nach Aufnahmen am photographischen 32cm-Refraktor und von optischen Messungen der Helligkeit zieht er den Schluß, daß die Differenzen zwischen photographischer und optischer Größe „für die II. Spektralklasse etwa zwischen 2.5 und 2.0 Größenklassen liegen und für die Klasse IIIa jedenfalls mehr als 2.5 betragen werden". Zugleich betont er die Notwendigkeit einer Reduktion der einen Skala auf die andere, sobald eine Beziehung zwischen Sterngröße und Parallaxe auftritt. Hier werden Fragen berührt, welche noch jetzt den Gegenstand eingehender Untersuchung bilden.
     Fundamentale Bedeutung für die Ausführung des Himmelskartenunternehmens erlangte Scheiners Arbeit über die Gültigkeit des photometrischen Grundgesetzes it = constans, welches besagt, daß bei gleicher Schwärzung das Produkt aus der [29] Helligkeit und der Expositionszeit für jede Plattensorte eine Konstante ist. Auf die Gültigkeit dieses Gesetzes war in der Pariser Konferenz von 1889 die Bestimmung begründet worden, daß jeder Beobachter die Expositionszeit, welche er zur Erlangung der 9. Größe der Argelanderschen Skala brauche, mit 6.25 zu multiplizieren habe, um die für den Katalog festgesetzte Grenzgröße 11.m0 zu erreichen. Scheiner gelangte, ohne die früheren Untersuchungen Pickerings zu kennen, zu dem Ergebnis, daß das Gesetz it = constans ungültig sei, und schloß aus der Diskussion von Aufnahmen der Plejaden am 32cm-Refraktor und von Aufnahmen der künstlichen Sterne des Zöllnerschen Photometers, daß die 2½fache Vermehrung der Expositionszeit nur einen Gewinn von einer halben anstatt von einer ganzen Größenklasse bringt.
     Eine andere hierher gehörige Arbeit hat die Erklärung der Verbreiterung der photographischen Sternscheibchen mit zunehmender Expositionszeit zum Gegenstande. Wolfs Versuche hatten gezeigt, daß die von Scheiner früher angenommene Reflexion im Innern der empfindlichen Schicht nicht zur Erklärung ausreicht, sondern daß die Verbreiterung wesentlich von Licht herrührt, das vom Objektiv kommt. Scheiner ließ Spiegel bzw. Objektiv fort und untersuchte die Verbreiterung der Scheiben, wenn ein paralleles Lichtbündel durch eine sehr feine, von ihm nach einem besonderen Verfahren hergestellte Öffnung in einem Metallschirm zur photographischen Schicht gelangte. Da hier die Wirkungen von sphärischen und chromatischen Abweichungen, sowie von Diffraktion, wenn der Schirm unmittelbar auf der empfindlichen Schicht lag, ausgeschlossen waren, und da die Lochbilder unter gleichen Umständen nur 3-4 mal größer als die „kleinsten" Scheibchen wurden, während die Durchmesser der mit Refraktor und Euryskop angefertigten Bilder den 16-18 fachen Betrag der primären Scheiben erreichten, so folgerte Scheiner, daß die Ursache der Vergrößerung von den unregelmäßigen Fehlern des Objektivs und von dem auch durch Strahlenbildung bemerkbaren Druck der Fassung auf das Objektiv, durch welchen die ursprünglich vollkommenen Flächen deformiert würden, herrühren müsse. Bemerkenswerterweise wurden damals die durch systematische Änderungen der Brechungsexponenten des Glases bewirkten Mängel in der Strahlenvereinigung überhaupt nicht in Betracht gezogen.
     Auch eine einfache Methode zur Berichtigung der Aufstellung parallaktisch montierter Instrumente gab Scheiner an.
     Die erwähnten Abhandlungen sind veröffentlicht in dem »Bulletin du Comité international permanent pour l'exécution [30] photographique de la carte du Ciel«, in den Astronomischen Nachrichten, sowie in den Einleitungen zum Potsdamer Katalog der „scheinbaren rechtwinkligen Koordinaten von Sternen bis zur 11. Größe nebst genäherten Örtern für 1900.0", von dem Scheiner mit Unterstützung von zahlreichen im Laufe der Jahre wechselnden Mitarbeitern 6 Bände bearbeitet hat.
     Bei seinem schwankenden Gesundheitszustande konnte sich Vogel den Strapazen, welche die Teilnahme an wissenschaftlichen Konferenzen mit sich bringt, nicht aussetzen und betraute daher Scheiner mit seiner Vertretung auf den Pariser Konferenzen in den Jahren 1891, 1896, 1900; auch die Konferenz von 1909 hat Scheiner besucht.
     In das Jahr 1894 fällt die Konstruktion eines auf dem Prinzip der rotierenden Scheibe beruhenden Universal-Sensitometers, das in Verbindung mit einer Normallampe zur Untersuchung der Plattenempfindlichkeit und der Beziehungen zwischen Expositionszeit und Lichtintensität dient. Der Apparat hat auch unter den berufsmäßigen Photographen Verbreitung gefunden.
     Nach Aufbesserung seines Gehalts konnte Scheiner im Jahre 1888, wenn auch zunächst nur mit bescheidenen Ansprüchen an die Lebensführung, einen Hausstand gründen. Am 1. Oktober 1894 erhielt er die etatsmäßige Stelle eines ständigen Mitarbeiters und zugleich wurde er nebenamtlich, nachdem ihm bereits im März 1893 der Professortitel verliehen worden war, zum außerordentlichen Professor an der Universität Berlin ernannt. Zu jener Zeit war Scheiner auch mit der Einführung der meist aus dem Auslande kommenden Gelehrten betraut, welche die Arbeiten am Observatorium kennen zu lernen wünschten.
     Von umfangreicheren Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts dürfen nicht unerwähnt bleiben die Katalogisierung des großen der direkten Messung am Fernrohr unzugänglichen Sternhaufens im Herkules, Messier 13, welche im Anhang zu den Abhandlungen der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (vom Jahre 1892) veröffentlicht worden ist, und „die Ausmessung des Orionnebels nach photographischen Aufnahmen" (Publik des Astroph. Observatoriums. Bd. 11. 1896).
     Der Berechnung der Sternpositionen von Messier 13 liegen die Messungen einer 2stündigen Aufnahme des Sternhaufens vom 9. September 1891 und eine 1stündige Aufnahme vom 10. September 1891 zugrunde. Auf der ersten Platte sind 823 Objekte gemessen worden, auf der zweiten Platte 520. Für die wahrscheinlichen Fehler einer Katalogposition auf einer Platte fand [31] Scheiner r_alpha = ±0."170 und r_delta = ±0."182, für die helleren Sterne ±0."13. Auch Helligkeitsschätzungen hat Scheiner im Anschluß an Charliers auf photographischem Wege ermittelte Plejadengrößen ausgeführt; endlich ist mit Berücksichtigung der verschiedenen Helligkeit der Sterne die Lage des Schwerpunkts des Sternhaufens ermittelt worden. Deutlich zeigte sich die Überlegenheit der Photographie im Vergleich mit den an den lichtstärksten Instrumenten ausgeführten Zeichnungen; so kamen die von Lord Rosse beschriebenen Kanäle nur im undeutlichen Sehen durch „Aneinanderreihen kleiner leerer Stellen" auf den Photographien zu Stande.
     Besonders augenfällig ist der Fortschritt, der durch die Photographie erreicht wird, beim Studium der Nebel. Scheiner entschloß sich daher zur Ausmessung des Orionnebels in der Absicht, die Grundlagen für spätere Untersuchungen der Bewegungsvorgänge in demselben zu schaffen. Er benutzte zwei Aufnahmen am 32cm Refraktor, die erste von Januar 11. 1893 mit 3½stündiger Expositionszeit und die zweite von Februar 21. 1894 mit 5 Minuten Expositionszeit. Die Arbeit zerfällt in zwei Teile; im ersten Teil werden die auf 1900.0 reduzierten Positionen von 374 Sternen mitgeteilt, welche durch Anschluß an 34 im Meridian beobachtete Anhaltsterne erlangt worden sind. Besondere Sorgfalt wird auf die Ermittlung der persönlichen Einstellungsfehler und auf die Deutung der konstanten Unterschiede zwischen den Messungen der beiden Aufnahmen verwandt. Eine Vergleichung mit Bonds Katalog ergab für den konstanten Unterschied Scheiner-Bond in alpha und delta die Werte -0.s104 bzw. +0."17, in welchem aber noch die Unsicherheit in der Bestimmung der Eigenbewegung von theta_1 Orionis steckt. Bei der Untersuchung des Nebels im zweiten Teil der Arbeit wurden noch zwei Aufnahmen mit einem Voigtländer Euryskop und 6 Aufnahmen mit dem 32cm Refraktor hinzugenommen. Die der Aufgabe eigentümliche Schwierigkeit, welche in der genauen Bezeichnung der gemessenen Punkte - 85 Punkte im innern Teil des Nebels, 43 im äußern Teil - Maxima und Minima der Helligkeit, Ecken, Nebelknoten usw. bestand, suchte Scheiner durch sorgfältige Herstellung von Zeichnungen am Mikroskop zu überwinden, da die photographische Reproduktion dieser sehr verschieden hellen Objekte auf derselben Aufnahme nicht tunlich war. Nur diejenigen Aufnahmen dürfen von späteren Beobachtern zur Vergleichung herangezogen werden, welche alle in den Zeichnungen gegebene Einzelheiten aufweisen. Durch Wiederholung der Messungen auf derselben Platte und durch Vergleichung aller Messungsergebnisse bemühte sich [32] Scheiner, die Wirkung der wechselnden Auffassung auf die Einstellung dieser schwierigen Objekte kennen zu lernen. Eine Reproduktion der ersten Aufnahme ist der Abhandlung beigegeben.
     Endlich entstand auf Anregung Vogels und unter Mitwirkung von Herrn S. Hirayama eine Arbeit, welche die photographische Darstellung von Diffraktionsbildern, besonders der beim Heliometer auftretenden von H. Struve und H. Bruns theoretisch untersuchten Figuren, zum Gegenstand hat. Der Arbeit, welche im Anhang der Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1894 erschienen ist, sind Tafeln mit schönen Reproduktionen der Beugungsfiguren, welche den verschieden gestalteten Öffnungen entsprechen, beigegeben.
     Um das Jahr 1895 nahm der Plan zur Beschaffung eines großen Refraktors für das Observatorium feste Gestalt an. Scheiner hatte an den Erwägungen und Besprechungen von Fragen optischer, mechanischer und technischer Art teilgenommen und durfte bei der in Gegenwart Seiner Majestät des Kaisers am 26. August 1899 stattfindenden feierlichen Einweihung nach der Festrede des Direktors einige Erläuterungen über das Instrument und den Kuppelbau geben. Bei dieser Gelegenheit wurde Scheiner der rote Adlerorden 4. Klasse verliehen; außerdem besaß er den Russischen St. Stanislaus-Orden 2. Klasse und das Ritterkreuz 1. Klasse des Herzoglich-Sachsen Ernestinischen Hausordens. Scheiner war Associate der Royal Astronomical Society und Mitglied der Kaiserl. Russischen Gesellschaft der Naturforscher in Moskau.
     Wir sehen an jenem Tage Vogel auf der Höhe seiner Laufbahn, da sein sehnlichster Wunsch mit einem modernen Refraktor die mit verhältnismäßig kleinen Mitteln begonnenen Bestimmungen der Radialgeschwindigkeiten der Sterne fortsetzen zu können, der Erfüllung nahe schien. Aber auch für Scheiner bedeutete dieser Tag einen Markstein. Er hatte am 1.Oktober 1898 die Stelle eines Hauptobservators erhalten und sollte, ebenso wie der Verfasser, die Arbeiten zur Bestimmung der Radialgeschwindigkeiten mit dem neuen Instrumente fortführen. Allein der Refraktor bereitete eine Enttäuschung. Wesentlich Meinungsverschiedenheiten über die Ursache der unerwartet geringen Leistungsfähigkeit des Instruments zwischen Vogel und Scheiner führten bei ihrem durch nervöse Sensibilität hervorgerufenen Unvermögen, der Eigenart des Anderen gerecht zu werden, zu einer Entfremdung, welche wohl von beiden Männern in gleichem Maße schmerzlich empfunden worden ist.
     Nunmehr beginnt der zweite Abschnitt von Scheiners [33] wissenschaftlicher Tätigkeit, in welchem er sich hauptsächlich mit dem Studium der Strahlung beschäftigte. Zunächst wurde auf Anregung Vogels gemeinsam mit dem Verfasser eine photometrische Bestimmung der Intensitätsverhältnisse der Hauptlinien im Spektrum einiger Gasnebel in Angriff genommen, über welche bisher nur Schätzungen, namentlich von Keeler, vorlagen. Die Nebellinien können selbst bei Anwendung der lichtstärksten Instrumente zu den schwierigsten Objekten gezählt werden und liegen an der Grenze des der direkten photometrischen Beobachtung zugänglichen Gebiets. Es ergab sich, daß das Verhältnis der 1. und 2. Hauptlinie bei den beobachteten Nebeln konstant ist, während die relative Helligkeit der dritten, dem Wasserstoff angehörigen Linie variiert.
     Nach Beendigung dieser Arbeit wurden Messungen der Radialgeschwindigkeit der Nebel mit Hilfe eines Rowlandschen Gitters angestellt. Eine beträchtliche Schwierigkeit, welche bei der Positionsbestimmung so lichtschwacher Objekte, wie es die Nebellinien sind, auftritt, ist die Herstellung einer geeigneten Marke in dem vollständig dunklen Gesichtsfelde. Scheiner gelang die Lösung dieser Aufgabe durch geschickte Verwendung der mit dem Spektrometer verbundenen photometrischen Einrichtung. Er fügte dem am vorderen Ende des Spektrometerspalts befindlichen Crovaschen Prisma, noch ein zweites Prisma am anderen Ende des Spalts hinzu, so daß im Gesichtsfelde zwei kontinuierliche Spektra der Photometerlampe zu beiden Seiten des dunklen Mittelstreifens sichtbar wurden. Die feine in der Mitte unterbrochene Lichtlinie, welche durch Abdeckung dieser Spektra mittels einer mit schmalen, dem Spalt parallelen Einschnitten versehenen Blende entstand, besaß nun genau die gleiche Färbung, wie die Nebellinie, und konnte mit Hilfe des Photometers in erforderlichem Maße abgeschwächt werden, so daß sich die Einstellungen der Nebellinie und einer in der Nähe befindlichen Vergleichslinie des Eisenspektrums in dem dunklen Zwischenraum verhältnismäßig leicht bewerkstelligen ließen. Über diese Arbeiten ist in den „Untersuchungen an den Spektren der helleren Gasnebel, angestellt am großen Refraktor" (Publik. des Astroph. Observatoriums Bd. 15. 1905) berichtet worden.
     Andere größere gemeinsame Arbeiten betrafen „Temperaturbestimmungen von 109 helleren Sternen aus spektralphotometrischen Beobachtungen" (Publik. des Astroph. Observatoriums Bd. 19. 1909) und „Vergleichende spektralphotometrische Beobachtungen am Monde und an Gesteinen nebst Albedobestimmungen an letzteren" (Publik. des Astroph. Observatoriums Bd. 20. 1909).
     [34] Vorher erschienen noch von Scheiner „Untersuchungen über die Solarkonstante und die Temperatur der Sonnenphotosphäre" (mit Unterstützung der Königl. Akademie der Wissenschaften in Berlin) (Publ. des Astroph. Observatoriums. Bd. 18, 1908). Scheiner diskutiert in dieser Abhandlung die Ergebnisse einer Reihe von Messungen, die er im Jahre 1902 mit dem Ångströmschen Pyrheliometer auf dem Gornergrat in der Schweiz und in Potsdam angestellt hatte. Wohl der schwierigste Teil dieser Aufgabe ist die Bestimmung des Strahlungsverlustes in der Atmosphäre. Scheiner versuchte diesen Verlust nicht nur durch Messungen der Gesamtstrahlung bei hohem und niedrigem Sonnenstande zu ermitteln, sondern er bestimmte auch im Laboratorium bei verschiedenem Druck, Temperatur und Dicke der Schicht die Absorption des Wasserdampfes und der Kohlensäure, sowie die Absorption des destillierten Wassers. Nach Anbringung aller Reduktionen fand Scheiner für die Solarkonstante den Wert 2.29 bis 2.22 Gr.-Kal., während die Bestimmungen von C. G. Abbot und F. E. Fowle als zehnjährigen Mittelwert 1.932 ergeben. Schließlich ermittelt Scheiner nach verschiedenen Methoden, durch Strahlungsmessungen an Leuchtflammen, an glühenden Platinstreifen und am „schwarzen" Körper, dessen praktische Darstellung damals den Herren Lummer und Kurlbaum gelungen war, die Konstante des Stefanschen Gesetzes sigma = 0.0159 und berechnet mit diesem Wert die effektive Temperatur der Sonne zu 6252° bis 6196°. Trotz der großen Mühe, welche Scheiner in dieser Arbeit auf die Bestimmung der Absorption verwandt hat, wird man sich doch nicht der Einsicht verschließen können, daß nur die von den Herren Abbot und Fowle eingeschlagene Methode, welche in einer mit der Messung der Gesamtstrahlung möglichst gleichzeitigen Bestimmung der Extinktion innerhalb der verschiedenen Spektralgebiete besteht, zu exakten Werten der Solarkonstante führen kann.
     Außer diesen größeren Abhandlungen hat Scheiner eine Fülle kleinerer Aufsätze in den Astr. Nachrichten und in der Zeitschrift für Instrumentenkunde, von Referaten für die Fortschritte der Physik und die Vierteljahrsschrift der Astron. Gesellschaft veröffentlicht, von denen hier nur einige Titel angeführt werden können.
     Über die Erklärung der Verdoppelung der Marskanäle (Astr. Nachr. 1889).
     Über die planetarischen Nebel h 2098 und h 2241 (Astr. Nachr. 1892).
     [35] Über den großen Nebel bei xi Persei (mit einer Tafel) (Astr. Nachr. Bd. 132).
     Über neue Spektroskop-Konstruktionen (Zeitschr. f. Instrumentenkunde 1892).
     Über das Spektrum des Andromedanebels (Astr. Nachr. 1899).
     Über die Duboissche Theorie der geologischen Klimaveränderungen (Astr. Nachr. 1892).
     Zur Erklärung des kontinuierlichen Spektrums der Sonnenkorona (Astr. Nachr. 1900).
     Im Jahre 1890 erschien Scheiners „Spektralanalyse der Gestirne. Mit einem Vorwort von Prof. H. C. Vogel. Leipzig"; es war das erste Lehrbuch, welches den neuen Zweig der Himmelskunde behandelte. Im Jahre 1897 veröffentlichte Scheiner ein Lehrbuch „der Photographie der Gestirne", ferner im Jahre 1899 ein kleineres Werk über „Strahlung und Temperatur der Sonne", endlich 1909 eine Darstellung der „Spektralanalytischen und photometrischen Theorien".
     Scheiners Bedeutung lag auf praktischem Gebiet. Schnell erkannte er die Schwierigkeiten einer Aufgabe und fand dann auch bald ein Hilfsmittel, um ihnen zu begegnen; unterstützt wurde er dabei durch seine reiche Erfahrung in den Arbeiten des Laboratoriums und der Werkstatt. Weniger vermochte sich Scheiners auf Anschaulichkeit gerichtete Denkart der nüchtern konsequenten Betrachtungsweise des Mathematikers anzupassen; und wesentlich in diesem Mangel ist die Erklärung gelegentlicher Schwächen in seinen Darlegungen zu suchen, wo der Leser eine erschöpfendere Durchdringung des Stoffes gewünscht hätte. Scheiner arbeitete schnell, und mühelos fand er die Form für die Gedanken in Wort und Schrift. Mit dieser Gabe hing seine erfolgreiche Tätigkeit auf populär-wissenschaftlichem Gebiet zusammen; auch schwierigere Themata vermochte er in leichter fesselnder Form gemeinverständlich darzustellen. Viel gelesen ist seine kleine Schrift „Der Bau des Weltalls" welche 1913 die vierte Auflage erlebte, sowie seine „Populäre Astrophysik" (Leipzig u. Berlin, 2. Aufl. 1912). Zahlreich sind seine Aufsätze im „Naturforscher", der „Naturwissenschaftlichen Rundschau", der Zeitschrift „Himmel und Erde" und in Zeitungen. Auch durch wissenschaftliche und populäre Vorträge wirkte er für die Verbreitung des Verständnisses für die neuen Errungenschaften auf astrophysikalischem Gebiete. So folgte er 1901 einer Aufforderung der Universität Lyon zu zwei Vorträgen in französischer Sprache, 1904 hielt er einen Vortrag in der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, 1908 im Verein für Naturkunde in München, endlich 1910 in Altenburg auf Einladung [36] S. H. des Herzogs Ernst von Sachsen-Altenburg. Hierzu kommen Vorträge in der Berliner „Urania" und in der „Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik".
     Scheiner war ein ausgezeichneter Gesellschafter; lebhaft und beredt sah er gern einen Kreis von Zuhörern um sich versammelt, denen er aus seinem unerschöpflichen Schatz Erinnerungen und Anekdoten spendete, die zuweilen mit einer Dosis Sarkasmus gewürzt nicht geeignet waren, die freundschaftlichen Gefühle der Betroffenen für ihn zu erhöhen. Wer es aber vermochte, über kleine Besonderheiten fortzusehen, der lernte sein offenes und doch verbindliches Wesen schätzen. Scheiner schloß sich nicht leicht an; den erwählten Jugendfreunden aber bewahrte er die Freundschaft. Leider hatte Scheiner während seines ganzen Lebens mit nervösen Beschwerden zu kämpfen, die er nur vorübergehend durch Bewegung in frischer Luft und durch körperliche Arbeit bannen konnte. Er war ein geschickter Tischler und hatte eine herzliche Freude daran, wenn es ihm gelang, einen Stuhl oder Schrank in kunstgerechter Weise zusammenzufügen. Bereits vor einigen Jahren wurde er von einem Augenleiden befallen, das ihm die Fortsetzung der gewohnten Beobachtungstätigkeit unmöglich machte, und bald steigerten sich auch die Herzbeschwerden. In Wiesbaden und an der See, an der er fast regelmäßig im Sommer einige Wochen zubrachte, suchte er, begleitet von seiner unermüdlich sorgenden Gattin, Linderung. Und in der Tat schien er im Herbst des vergangenen Jahres gekräftigt zurückgekehrt; er vermochte wieder den Weg zum Observatorium zurückzulegen. Indessen die Besserung war nur von kurzer Dauer; am 20. Dezember 1913 bereitete ein Gehirnschlag dem Leben des begabten Mannes ein schmerzloses Ende.

J. Wilsing.

HTML-Version: Wolfgang R. Dick. Eingerichtet: 10. Juli 2001
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