Im März 2025 hatten die ESA und das EC bereits die ersten 63 Quadratgrad kalibrierter Euclid-Aufnahmen und Kataloge sowie eine Reihe von beschreibenden Fachartikeln und ersten wissenschaftlichen Abhandlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Q1-Daten demonstrieren die beispiellose Leistungsfähigkeit des Euclid-Teleskops, das gebaut wurde, um die präziseste Karte unseres Universums im Verlauf seiner kosmischen Entwicklung zu erstellen. Nun ist ein zweiter Satz von Veröffentlichungen fertiggestellt worden und steht auf dem Preprint-Server arXiv zur Verfügung.
Wissenschaftliche Ergebnisse veröffentlicht am 5. November 2025
Dieser neue Satz von sieben Artikeln, die den Euclid-Q1-Datensatz nutzen, bietet einen umfassenden Überblick über die Entstehung und Entwicklung der Galaxien im Laufe der kosmischen Zeit:
- Eine Arbeit unter der Leitung von Natalie Allen enthüllt die Entdeckung von zwei ultraleuchtstarken Galaxien im sehr frühen Universum, bei einer Rotverschiebung von z > 8. Diese gehören zu den über 100.000 sogenannten Lyman-Break-Galaxien, die bei z = 6–12 erwartet werden und die Entstehung der ersten Sternsysteme im jungen Universum nachzeichnen.
- Aufbauend auf diesen entfernten Lichtquellen stellen Lorenzo Bazzanini et al. ARTEMIDE vor, einen Open-Source-Algorithmus für tiefes maschinelles Lernen, der die charakteristische Bogenstruktur von starken Gravitationslinsen automatisch erkennt. Das stellt ein mächtiges neues Werkzeug dar, um solche Gravitationslinsensysteme zu identifizieren und darüber die Massenverteilungen in Galaxien und Galaxienhaufen zu untersuchen – Einblicke in die Schlüsselprozesse für deren Wachstum.
- Maximilian Fabricius et al. erforschen die späteren Stadien der Galaxienentwicklung. Sie konzentrieren sich auf Verschmelzungen von Galaxien, aus denen supermassereiche Schwarze Löcher-Paare und verarmte zentrale Sternsysteme entstehen. Sie identifizieren 666 frühe Galaxien mit möglichen sekundären Kernen, welche entscheidende Einblicke liefern können, wie Galaxien verschmelzen und sich ihre zentralen Strukturen neu ausbilden.
- Eine Arbeit unter der Leitung von Fabrizio Gentile analysiert fast eine Million Galaxien und stellt fest, dass Morphologie und Sternentstehung eng mit den Umgebungsbedingungen verknüpft sind: In Regionen geringer Dichte entwickeln sich Galaxien zu Systemen mit einer ausgeprägten zentralen Wölbung, bevor die Sternentstehung stoppt. In dichten Umgebungen hingegen endet die Sternentstehung früher, was zu ruhenden Scheibengalaxien führt, die sich später in kugelförmige Systeme umwandeln.
- Ergänzend dazu zeigen Ryley Hill et al. anhand der Analyse von über zwei Millionen sternbildenden Galaxien, dass das Verhältnis von Staub- zu Sternmasse in diesen seit z≈1 stetig abgenommen hat. Dies bedeutet eine fortlaufende Verknappung von Material für die Sternentstehung hin zu jüngeren Zeiten.
- Manuela Magliochetti et al. nutzen die Radiostrahlung als Indikator für die Aktivität in Galaxienkernen. Sie können zeigen, dass radiolaute aktive Galaxienkerne (AGN) bevorzugt in verschmelzenden Systemen zu finden sind, während radioemittierende sternbildende Galaxien eher isoliert vorkommen. Dies verdeutlicht die sehr unterschiedlichen Pfade von Galaxienwachstum, durch Verschmelzungen und durch eigendynamische Prozesse.
- Schließlich identifizieren Daniela Vergani et al. eine seltene Population von 65 Galaxien, die hoch ionisierte Emissionslinien aufweisen. Diese sind Signaturen extremer astrophysikalischer Phänomene wie AGNs, Stoßfronten oder Wolf-Rayet-Sterne, was ein neues Fenster zu den energetischen Rückkopplungsmechanismen eröffnet, welche die Galaxienentwicklung prägen.
Diese Arbeiten unterstreichen noch einmal Euclids einzigartige Fähigkeit, eine Verknüpfung herzustellen zwischen den frühesten beobachteten leuchtenden Quellen einerseits und der breiten Vielfalt an Galaxien andererseits, die wir im heutigen Universum beobachten und die sich durch komplexe physikalische Prozesse wie Verschmelzungen, Rückkopplungseffekte und die Einflüsse ihrer Umgebung entwickelt haben.
Zusammen mit dem ersten Satz von 35 Publikationen zum Q1-Datensatz werden die Arbeiten in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht, sobald der formale Begutachtungsprozess durch die Zeitschrift abgeschlossen ist.
Der Veröffentlichungsprozess im Euclid Consortium
Die Koordination der Veröffentlichungen eines so großen Konsortiums wie Euclid, unter Berücksichtigung der Autorenrechte vieler hunderter Konsortiumsmitglieder und der Sicherung eines konstant hohen Qualitätsstandards für alle Publikationen, ist eine komplexe Aufgabe. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Prozess das Editorial Board des EC (ECEB). Alle Publikationen des EC werden zuerst vom ECEB geprüft, das von Peter Schneider am Argelander-Institut für Astronomie (AIfA) in Bonn und John Peacock in Edinburgh geleitet wird.
Bevor sie bei einer Fachzeitschrift eingereicht werden, durchlaufen EC-Publikationen eine gründliche interne Bearbeitung und Begutachtung. Dies stellt auch sicher, dass alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Konsortium die Möglichkeit haben, am Entstehen dieser Arbeiten mitzuwirken.
Das Büro des ECEB, das sich um alle technischen und administrativen Aspekte des täglichen Geschäfts und um die umfangreiche Kommunikation mit den Autoren kümmert, ist ebenfalls am AIfA in Bonn angesiedelt und wird von Patrick Simon betreut.
Hintergrundinformationen
Der „Q1“-Datensatz veröffentlicht am 19. März 2025
Der am 19. März 2025 veröffentlichte Q1-Datensatz bietet einen ersten Einblick in Euclids kosmologische Himmelsdurchmusterung. Diese Aufnahmen sind beispielhaft für das, was die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Euclid-Kollaboration in den kommenden Jahren umfassend analysieren werden, um die Entwicklung der großen Strukturen im Universums über die kosmische Zeit hinweg abzubilden und die Natur von Dunkler Materie und Dunkler Energie zu erforschen.
Mit einer abgedeckten Himmelsfläche von etwa 63 Quadratgrad ist der Q1-Datensatz siebenmal größer als der frühere ERO-Datensatz. Er stellt die größte zusammenhängende Himmelsfläche dar, die jemals mit einem optischen/ nahinfrarot-Weltraumteleskop beobachtet wurde. Ergänzt werden die Q1-Daten durch Beobachtungen einer Sternentstehungsregion in unserer eigenen Galaxie, die in einer frühen Phase der Mission im Rahmen der Überprüfung und Verbesserung von Euclids Navigationsfähigkeiten beobachtet wurden.
Dank Euclids Kombination aus sehr weitem Sichtfeld und hoher Auflösung sind diese exzellenten Daten auch für verschiedene astrophysikalische Studien auf kleineren Skalen sehr wertvoll, von Galaxienhaufen bis hin zu Objekten von Planetengröße. Auch alle heute veröffentlichten Arbeiten fallen in den Bereich dieser nicht-kosmologischen, “klassischen” Wissenschaft (“Legacy Science”).
Die Euclid-Mission
Euclid ist eine Satellitenmission, die darauf abzielt, die dunkelsten Regionen des Himmels über einen Zeitraum von sechs Jahren zu kartieren. Von den umfangreichen Daten werden neue Erkenntnisse über die Natur der Dunklen Energie und Dunklen Materie erwartet. Das Teleskop wurde am 1. Juli 2023 gestartet und nahm nach einer etwa halbjährigen Inbetriebnahmephase am 14. Februar 2024 seinen regulären Forschungsbetrieb auf.
Das Euclid Consortium (EC) ist zusammen mit der ESA für die Planung, den Bau und den Betrieb des Euclid-Weltraumteleskops verantwortlich. Das EC vereint mehr als 2600 Mitglieder. Darunter sind über 1000 aktive Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von mehr als 300 Forschungsinstituten in 15 europäischen Ländern, den Vereinigten Staaten von Amerika, Kanada und Japan.
Euclid wird von der ESA finanziert, mit nationalen Beiträgen des deutschen Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt über die Deutsche Raumfahrtagentur DLR.
Zukünftige Meilensteine der Euclid-Mission
Die nächste Datenveröffentlichung des Euclid Consortium wird Euclids nominelle Durchmusterung und den wissenschaftlichen Kernbereich der Mission betreffen, einschließlich Ergebnisse zur Natur der Dunklen Energie. Eine erste weltweite Datenfreigabe ist derzeit für Oktober 2026 geplant. Mindestens zwei weitere schnelle Veröffentlichungen und zwei weitere Datenfreigaben werden bis 2031 erwartet, dem aktuell vorgesehenen Enddatum von Euclids wissenschaftlicher Kernmission.